KomRev
Die kommunale Effizienzrevolution für den Klimaschutz in den deutschen Städten – Voraussetzungen, Transformationspfade und Wirkungen
Projektnehmer
Fachhochschule (FH) Aachen, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) und Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH (WI)
Projektlaufzeit
01.11.2012 bis
31.12.2016
Projektkontakt
info@sij.fh-aachen.de
www.wupperinst.org
www.dlr.de
www.fh-aachen.de
Fördersumme
1.249.465 Euro
Förderkennzeichen
03KSE043A/B/C
Förderprogramm
Blaupausen für die Zukunft
Den Kommunen kommt eine zentrale Rolle bei der Umsetzung der ambitionierten deutschen Klimaschutzziele zu. Welche Energiegewinnungs- und Effizienzpotenziale können sie nutzen, damit sie ab 2050 ohne fossile Brennstoffe auskommen?
Auf einen Blick
Das Projekt KomRev stellte sich genau diese Frage und erforschte konkret umsetzbare Transformationspfade für eine fast emissionsfreie Zukunft. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Solar-Institutes Jülich (SIJ) der Fachhochschule (FH) Aachen, des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie (WI) und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) wollten wissen, welche Energiequellen und welche Synergien wie zusammenspielen müssen, um eine weitgehend CO2-freie Zukunft in deutschen Städten zu erreichen. Dazu errechneten die Forscherinnen und Forscher am Beispiel der Stadt Rheine mittels einer großen Anzahl erhobener Daten zwei Konzepte für eine vollständig erneuerbare Energieversorgung. Die zwei Szenarien stellen dabei keine singulären Alternativen dar, sondern spannen ein anpassungsfähiges Handlungsfeld für die Kommune auf. Darauf aufbauend zeigte das Projektteam von KomRev wirtschaftliche Lösungen auf, die gleichzeitig schwierige Fragen wie das Thema Flächenverbrauch adressierten. Die Ergebnisse flossen in ein Handbuch ein, das für Kommunen handlungsleitend wurde.
Eine Vision für die postfossile Ära
Wenige Menschen haben heute eine greifbare Vorstellung davon, wie eine so gut wie emissionsfreie Welt im Jahr 2050 aussehen könnte. Das Projekt KomRev geht von den signifikanten Infrastruktur- und Lebensstilveränderungen aus, die machbar und notwendig sind, um das anspruchsvolle Ziel tatsächlich zu erreichen, und konkretisiert sie für die kommunale Ebene.
Ausgangspunkt der Forschungen war die Stadt Rheine. An ihrem Beispiel zeigte KomRev, wie maßgeschneiderte Lösungen auf Basis der jeweils vor Ort vorhandenen Energieressourcen aussehen können. Besonders wichtig war den Forscherinnen und Forschern die Suche nach den effizientesten Formen der Sektorkopplung, das heißt dem Zusammenspiel von Strom, Wärme und Mobilität. Sie skizzierten, wie ein Paradigmenwechsel vom heutigen, in einzelne Sektoren zersplitterten System zu einem zukünftigen regional und sektoral integrierten Gesamtsystem umgesetzt werden könnte. Die daraus abgeleiteten Transformationspfade sind für alle Kommunen und Städte gleichermaßen anwendbar und bieten eine Grundlage für richtungssichere Investitionsentscheidungen.
Der Ausgangspunkt: eine umfassende Datengrundlage
Wer wissen will, welche Entscheidungen für eine nachhaltige Zukunft getroffen werden müssen, muss vom Ergebnis her denken. Diese Herangehensweise heißt Backcasting. Auf Basis einer konkreten Zielvorstellung für die Welt von morgen werden machbare Schritte bis zurück ins Heute definiert. Im KomRev-Projekt nahmen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zunächst eine detaillierte Ist-Analyse für die Stadt Rheine vor. Sie schlüsselten auf, wo und wann tatsächlich Energiebedarf besteht und welche zeitlichen und örtlichen Erzeugungspotenziale bei den unterschiedlichen Technologien gegeben sind. Die Bestandsaufnahme schloss die Sektoren Haushalte, Gewerbe/Handel/Dienstleistung, Industrie und Verkehr ein und differenzierte nach den Energieversorgungssektoren Strom, Wärme, Brenn- und Kraftstoffe.
Zwei verschiedene Zielkonzepte
Auf dieser Grundlage entwarfen die Forscherinnen und Forscher zwei unterschiedliche, mit dem heutigen Stand der Technik machbare Visionen für eine optimierte dezentrale Energieversorgung: die Maximal-Dezentrale (MAX-DEZ) und die Moderat-Dezentrale (MOD-DEZ) Energieversorgung als Zielvorstellung. Da Erzeugung und Verbrauch voneinander abhängen, enthielt jede Variante spezifische, aufeinander abgestimmte Energiebedarfs- und Versorgungsmodelle. Beide Konzepte orientierten sich an heutigen sektoralen Grenzen, banden aber die vorhandenen Ressourcen in ein sektorenübergreifendes, regionales System ein. In diesem konnte Strom auch von externen Anbieterinnen und Anbietern eingekauft und an sie abgegeben werden.
Die Unterschiede zwischen den zwei Konzepten zeigten sich vor allem auf der Versorgungsseite. Das MOD-DEZ-Konzept war weniger streng ausgelegt bei der Nutzung von nicht lokal erzeugten Energieträgern. Es erlaubte beispielsweise in der Industrie den Bezug von Brenngas von außerhalb Rheines liegenden Räumen, sowie im Verkehr die Verwendung von synthetisch hergestelltem, nicht-lokalem Kraftstoff.
Vor allem aber drehten sich beide Konzepte um unterschiedliche Schwerpunkte, die zusammen möglichst viele Facetten des Energiesystems adressierten. Die maximal-dezentrale Option ging von Solarthermie auf allen theoretisch nutzbaren Dächern gekoppelt an ein Nahwärmenetz mit Wärmespeichern aus und setzte im Verkehr auf Elektromobilität. Die moderat-dezentrale Variante drehte sich um die Stromversorgung mit Photovoltaik, Windkraft und Erdwärmepumpen sowie im Verkehr um die Diversifizierung effizienter neuer Antriebe.
Simulationen in granularer Auflösung
Die Konzepte zeigten eine große Bandbreite an vor Ort umsetzbaren Lösungen auf. Um daraus wirtschaftlich machbare Transformationspfade abzuleiten, führten die Forscherinnen und Forscher detaillierte ausschnittweise Simulationen durch. Sie nutzen dazu Wetterdaten aus einem Test-Referenz-Jahr und ermittelten beispielsweise die Wärmebedarfe verschiedener Siedlungsareale über die Raumordnungs-Methode. Sie differenzierten ihre Berechnungen dabei auch in Stundenbilanzen nach Tages- und Jahreszeiten sowie nach unterschiedlichen Standorten für die Energiegewinnung durch Photovoltaik, Windenergie, Solaranlagen, Biogaserzeugen und so weiter.
Ambitionierte Transformationspfade
Eine der wichtigsten Fragen des Projektes lautete, wie fluktuierende Energieerzeugung und schwankende Nachfrage technisch und wirtschaftlich effizient und effektiv zusammenspielen können. Das Ergebnis:
- Eine Wärmeversorgung über Wärmenetze und Wärmespeicher entlastet das Stromsystem;
- Wärmepumpen in saisonalen Speichern ermöglichen ein skalierbares Demand-Side-Management, wenn Wind und Sonne keinen Strom liefern;
- auch Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen können auf der Erzeugungsseite zum Schwankungsausgleich beitragen;
- Nahwärmenetze in Verbindung mit Langzeitwärme-speichern stellen eine wichtige Infrastrukturgrund-lage für die Systemtransformation dar.
KomRev zeigte auch anhand einer Fülle konkreter Beispiele, wie anspruchsvoll die notwendigen Veränderungen sind. Beispielsweise muss die Zahl der Kraftfahrzeuge in der Beispielstadt Rheine in der moderateren Variante von derzeit gut 36.000 auf 16.000 im Jahr 2050 zurückgehen, zusätzlich werden alle verfügbaren und geeigneten Dachflächen für Photovoltaik gebraucht.
In der maximal-dezentralen Variante wiederum muss sich die Windkraftleistung mehr als verzehnfachen und von heute 10,5 MW auf 148 MW steigen. Außerdem sind nicht unerhebliche Maßnahmen zur Reduzierung des Konsums nötig.
Allerdings beruhen die Szenarien und Maßnahmen auf Annahmen, die den heutigen Stand der Technik widerspiegeln. Mit dem technologischen Fortschritt können Kommunen ihre Zielvorstellungen leichter erreichen, oder noch ambitioniertere Ziele angehen.
Ein Handbuch (nicht nur) für Masterplan-Kommunen
Im Rahmen einer Projektaufstockung erstellten die an KomRev beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein praktikables, 124 Seiten starkes Handbuch methodischer Grundfragen. Es übersetzte die Vorgehensweise im Projekt in zwölf nachvollziehbare Einzelschritte. Das am Beispiel der Stadt Rheine entwickelte Handbuch ist damit prinzipiell in allen deutschen Städten und Gemeinden anwendbar. Insbesondere diente es den durch die Nationale Klimaschutzinitiative (NKI) geförderten Masterplan-Kommunen als Kompass bei der Erstellung ihrer jeweils eigenen Transformationspfade mit einem Zielhorizont im Jahr 2050. Die Nutzung des Handbuchs ist für Masterplan-Kommunen zwingend vorgeschrieben – so bauen die einzelnen Konzepte stets auf den Ergebnissen des umfassenden Forschungsprozesses auf und eine hohe Qualität wird gesichert.
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Was sollte das Projekt erreichen?
- Erstellung und Modellierung alternativer Versorgungskonzepte für die Bereiche Energie und Verkehr für die Stadt Rheine mit einem hohen Anteil erneuerbarer Energien und Abwärmenutzung;
- Beschreibung möglichst ökonomischer und ökologischer Transformationspfade für die Stadt Rheine;
- Prüfung der Übertragbarkeit der Ergebnisse und Erarbeitung eines allgemeingültigen Handbuchs methodischer Grundfragen zur Masterplan-Erstellung in Kommunen.
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Was hat das Projekt erreicht?
- Entwicklung von zwei Energiebedarfsmodellen für Rheine, differenziert nach Sektoren und Energieträgern;
- darauf aufbauend Entwicklung von zwei Zielkonzepten für die Kommune Rheine – Zielkonzept eins geht von einer maximal dezentralen Energieversorgung aus, Zielkonzept zwei nimmt eine moderate dezentrale Versorgung an;
- Beschreibung von Transformationspfaden zur Erreichung der Zielkonzepte in Rheine bis zum Jahr 2050;
- Prüfung der Übertragbarkeit der Konzepte und Transformationspfade auf andere Kommunen und Erarbeitung des Handbuchs methodischer Grundfragen zur Masterplan-Erstellung.
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Wie ging es weiter?
Das "Handbuch methodischer Grundfragen zur Masterplan-Erstellung" kann hier heruntergeladen werden.
Beitrag zum Klimaschutz
Ein direkter, in eingesparten Tonnen CO2 bezifferbarer Effekt kann dieser analytischen Studie nicht zugerechnet werden. KomRev zielte darauf ab, über einen praxisnahen Forschungsprozess in der Kommune Rheine ein allgemeingültiges Handbuch zu erarbeiten, das für kommunale Entscheidungsprozesse bei der Planung von Infrastrukturmaßnahmen genutzt werden kann. Vor allem Masterplan-Kommunen der zweiten Runde waren zur Nutzung des Handbuchs verpflichtet. Ihre zukünftig erfolgenden CO2-Einsparungen werden teilweise auf KomRev-Erkenntnisse zurückgehen. Ziel der Masterpläne ist es, die CO2-Emissionen um bis zu 95 Prozent zu senken. Der Beitrag des Projektes zum Klimaschutz ist aber auch davon abhängig, inwieweit das Handbuch darüber hinaus Verwendung findet.
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Checkliste der Erfolgsfaktoren
- Das Handbuch methodischer Grundfragen zur Masterplan-Erstellung nutzen;
- Bürgerinnen und Bürger frühzeitig informieren und einbinden – insbesondere bei Themen, die sich stark auf ihre Lebensweise auswirken;
- Maßnahmen trotz langem Planungshorizont umgehend angehen.
Tipps und Tricks für interessierte Institutionen
KomRev machte deutlich, wie ambitioniert Klimaschutzmaßnahmen sein müssen, damit die klimafreundliche Transformation gelingt. Die Methodik befähigt Kommunen dazu, ihre spezifischen Energiepotenziale genau einzuschätzen. Auf dieser Grundlage können die Verantwortlichen die anstehenden Strukturveränderungen hin zu einer weitgehenden Emissionsfreiheit planen.
Ein Handbuch für alle Fälle
Die ersten geförderten Masterplan-Konzepte waren qualitativ sehr unterschiedlich. Für die Masterplan-Kommunen der zweiten Förderphase war die Nutzung des Handbuchs daher vorgeschrieben. Das Handbuch bietet eine mit Checklisten unterfütterte kleinteilige Schritt-für Schritt-Anleitung mit konkreten Entscheidungshilfen. Damit kann jede Kommune ermitteln, welche spezifischen Energiepotenziale ihr vor Ort zur Verfügung stehen und wie sie diese sektorgekoppelt und maximal effizient nutzen kann.
Langfristige Vorausplanung sinnvoll
Die Analysen zeigten wie notwendig es ist, dass kommunale Verantwortliche ihre Entscheidungen im Einklang mit einer klimafreundlichen Langzeitplanung treffen. Wichtige Entscheidungen fallen heute und betreffen beispielsweise die Ausweisung neuer Baugebiete, Strom- und Wärmeversorgungskonzepte für neue Wohngebiete oder den Ausbau von Straßen und Parkplätzen. Wichtig ist darüber hinaus, dass die Verwaltungsspitze die notwendigen Schritte offen kommuniziert und „heiße Eisen“ wie etwa das Thema Suffizienz offensiv angeht.