Wie klimafreundliche Ernährung gelingt
Welche Ansätze helfen, Ernährung klimafreundlicher zu gestalten? Sabine Weick von der Landeshauptstadt Stuttgart gibt im Interview Einblicke und Tipps. Geführt wurde es für den Agentur-Newsletter für Klimaschutzpersonal.
Welche niedrigschwelligen Maßnahmen für mehr klimafreundliche Ernährung gibt es bei Ihnen in Stuttgart?
Sabine Weick: Ernährung ist ein emotionales Thema. Wie wir uns ernähren, ist eine ganz individuelle Entscheidung. Umso schöner ist es, dass bei einem Thema große Übereinstimmung herrscht: Lebensmittel, die noch genießbar sind, gehören nicht in die Tonne, sondern auf den Teller. Im November 2024 hat die Stadt Stuttgart im Rahmen der Klima-Kampagne „jetztklimachen!“ das Thema Wertschätzung von Lebensmitteln in den Blick der Öffentlichkeit gerückt.
Was genau ist bei dieser Kampagne passiert?
Weick: Unter dem Motto #2teliebe sensibilisierten Plakate, Social Media-Reels und digitale Anzeigen dafür, noch essbaren Lebensmitteln eine zweite Chance zu geben. Die Kampagne setzte sich ein für Reste vom Vortag, krummes Gemüse, Überproduktionen oder auch Bananen mit Altersflecken – also all das, was sonst oft in der Tonne landet. Einige bekannte Influencerinnen aus Stuttgart beteiligten sich und sorgten für zusätzliche Reichweite. Auf der Webseite www.jetztklimachen.de/2teliebe sind vielseitige Tipps und Tricks für den sorgsamen Umgang mit Lebensmitteln zu Hause zu finden.
Gibt es neben der Sensibilisierung auch praktische Unterstützung?
Weick: Die Stadt Stuttgart unterstützt professionelle Lebensmittelretter beim gerechten Verteilen übrig gebliebener Lebensmittel – beispielsweise der Unmengen an Brötchen am Ende eines Verkaufstages. Mit einem Förderprogramm unterstützt die Stadt das Errichten von öffentlichen Lebensmittel-Fairteilern im Stadtgebiet – Orte, an denen noch genießbare Lebensmittel hinterlegt und wieder mitgenommen werden können. Zudem stehen Mitarbeitende der Stadtverwaltung beratend zur Seite, wenn es Fragen zu Hygiene oder organisatorischen Punkten vor Ort gibt. Außerdem erhält das erste Foodsharing-Café, die „Raupe Immersatt“ in Stuttgart, bereits seit einigen Jahren eine Förderung, um deren Fairteiler-Betrieb zu unterstützen.
Über einzelne Projekte hinaus – welches übergeordnete Ziel verfolgt Stuttgart mit diesen Maßnahmen?
Weick: Stuttgart verfolgt das Ziel, eine Ernährung zu fördern, die gesund, klimafreundlich, genussvoll und für alle zugänglich ist – etwa in Kitas, Schulen, Kantinen und Quartieren. In den stadteigenen Betriebsrestaurants wird zunehmend auf gesunde und klimafreundliche Gerichte geachtet. So wurde bereits an einzelnen Aktionstagen gezielt auf den CO₂-Fußabdruck der Gerichte in unseren Betriebsrestaurants hingewiesen und der kommunikative Fokus dabei auf besonders klimafreundliche und zugleich bio-regionale, pflanzliche Gerichte gelegt.
Und wie stellen Sie sicher, dass diese Maßnahmen auch wirklich greifen?
Weick: Die Betriebsrestaurants haben an den landesweiten Food Waste-Messwochen teilgenommen. Erfreulicherweise kam dabei heraus, dass alle Kantinenmitarbeitenden sehr darauf achten, nichts leichtfertig wegzuschmeißen. Die Gäste der Betriebsrestaurants werden in regelmäßigen Abständen mit kurzen Videos zum Thema Lebensmittelverschwendung informiert. Auf den Bildschirmen sehen sie Zahlen und Fakten und bekommen einfach umzusetzende Tipps, um Abfall beim Besuch in der Kantine zu vermeiden, etwa Reste einpacken oder nach kleineren Portionen fragen.
Wie binden Sie andere Ämter ein, zum Beispiel Schulträger oder das Gesundheitsamt?
Weick: Beim Thema Ernährung arbeiten viele Ämter der Stadt Stuttgart zusammen. Ernährung ist ein Querschnittsthema, bei dem im Idealfall ökologische, soziale und ökonomische Nachhaltigkeit sowie Gesundheit zusammen gedacht werden. Es gibt eine ämterübergreifende Projektgruppe, die sich regelmäßig austauscht und über Vorhaben abstimmt; zahlreiche Arbeitsgruppen setzen die Projekte um. So können neue Erkenntnisse oder Interessen unterschiedlicher Ämter frühzeitig berücksichtigt werden. Gerade in den Bereichen Bildung, Klima und Gesundheit sind die Schnittstellen und das gemeinsame Engagement sehr groß.
Natürlich gibt es auch Zielkonflikte und nicht immer eine perfekte Lösung. Aber oft hilft es, einfach anzufangen, etwas Neues auszuprobieren und bei Bedarf nachzusteuern. Zum Glück sind gesunde Lebensmittel in den allermeisten Fällen auch klimafreundlich – und umgekehrt. Gemeinsam suchen wir nach Win-Win-Win-Ideen, die auf vielen Ebenen bereichern. Um ein Beispiel zu nennen: die Hülsenfrucht. Sie kann regional angebaut werden und ist günstig zu beschaffen. Zusätzlich verbessert sie den Stickstoffgehalt der Böden, enthält wertvolle Proteine und Ballaststoffe und bringt Abwechslung auf den Teller. Ob als Kichererbse in Falafel, Sojabohne im Tofu, Edamame in der Bowl, als Basis für Hummus oder als klassische Tellerlinse im Schwabenland: Die Hülsenfrucht bietet zahlreiche Möglichkeiten der Zubereitung. Neben mehreren Kantinen im Raum Stuttgart beteiligten sich auch die städtischen Betriebsrestaurants kürzlich am Bohnentag des „Ernährungsrates StadtRegion Stuttgart“ und setzten die Hülsenfrüchte mit drei unterschiedlichen Gerichten sowie Informationen in Szene.
Wie sind Sie die Umstellung der Schulverpflegung konkret angegangen?
Weick: Dafür ist bei der Stadt Stuttgart das Schulverwaltungsamt zuständig, aber ich kann einen kleinen Einblick in das Thema geben. Generell kommt es darauf an, ob die Gerichte vor Ort selbst gekocht oder über einen Caterer bezogen werden. Wer selbst kocht, hat mehr Möglichkeiten, Zutaten und Zusammensetzung gesundheitsförderlich und klimafreundlich zu gestalten. Werden die Gerichte über einen externen Anbieter bezogen, können die Schulen Ausschreibungskriterien für Caterer wählen, die nicht nur den Preis und Geschmack berücksichtigen, sondern auch die Nachhaltigkeit höher gewichten. Klimafreundliche Essensangebote sind überwiegend pflanzlich, saisonal, regional und möglichst bio. Eine vollwertige Küche mit möglichst gering verarbeiteten Produkten fördert die Gesundheit. Von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung gibt es Qualitätsstandards für die Verpflegung in Schulen, die inzwischen neben gesundheitlichen Aspekten auch Tierwohl, Soziales und Umwelt berücksichtigen.
Wie kommunizieren Sie das Thema klimafreundliche Ernährung ohne erhobenen Zeigefinger?
Weick: Unsere Ernährung ist fest verbunden mit Kultur, Sozialisation, Emotionen, Status, Individualität, Genuss und Gewohnheit – oft auch mit den verfügbaren finanziellen Mitteln. Wir entscheiden in den meisten Fällen nicht (nur) auf Basis von Fakten, was auf den Teller kommt.
Ich persönlich fühle mich durch eine angenehme Atmosphäre beim Essen, durch humorvolle Infos, positive Formulierungen von Vorteilen bestimmter Lebensmittel oder durch die Vorstellung von Best-Practice-Projekten und einfachen Tipps angesprochen. Das macht mich neugierig und ich bin eher bereit, etwas auszuprobieren.
Daher ist bei der Kommunikation rund um eine klimafreundliche Ernährung wichtig zu informieren, aber auch zu motivieren, zu fördern und eine klimafreundliche Auswahl leichter verfügbar zu machen. Diesen Ansatz haben wir etwa bei unserer Kampagne #2teliebe verfolgt. Mehr dazu steht unter www.jetztklimachen.de/2teliebe.
Auf der Webseite https://jetztklimachen.stuttgart.de/klimaschonend-ernaehren gibt es viele Informationen über unsere Ziele, Vorhaben, Kommunikationsmaßnahmen und Projekte.